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Das Manfred-Schulze-Bläserquintett

Das Manfred-Schulze-Bläserquintett existiert nun mehr seit fast 25 Jahren und erfuhr im Laufe der Jahre ständig personelle Veränderungen.
Manfred Schulze begann Mitte der 60er Jahre seine experimentellen Erkundungen und gründete 1969 das Bläserquintett.

Geeignete Mitspieler zu finden gestaltete sich problematisch. Schulzes Kompositionen beruhen auf Formen und Kompositionstechniken der europäischen Musiktradition.
Gestus und Klang sind aber der zeitgenössischen Musik zuzuordnen. Die zu diesem Zweck von Schulze entwickelten Spielformen lassen der Improvisation breiten Raum, überwinden das tradierte Chorusprinzip durch vielgestaltige Improvisationsmodelle, aus denen die Musiker nach bestimmten Schlüsseln und Regeln wählen können.
Eine für die damalige Zeit nicht leichte Aufgabe, da sehr hohe Anforderungen an die Musiker gestellt wurden.

Anfang der 70er Jahre waren die Jazzmusiker auf der Suche nach der eigenen Identität im Jazzidiom und versuchten auf ihrem Gebiet, Grenzen zu durchbrechen.
Rolf Reichel berichtet: „Sie waren deshalb nicht willens und, wie Schulze meint nicht fähig, sich der Disziplin des Schulze-Konzeptes zu unterwerfen, dessen Aufführungspraxis das Erlernen einer neuen und ungewohnten Improvisationsweise verlangte, die wenig mit dem landläufigen Jazzverständnis gemein hatte“.

Im Laufe der 70er und 80er Jahre bildete sich ein fester Stamm um das Bläserquintett.
Es entstanden drei LPs bei FMP und AMIGA. Sie geben einen repräsentativen Eindruck von Schulzes Konzept und Musik.
Auf ihnen sind die Kompositionen „Choralkonzert“, „Nr. 12“, „B-A-C-H“ u.a. Realisiert wurden diese Aufnahmen mit Manfred Schulze (bars), Manfred Hering (sax), Dietmar Diesner (sax), Heiner Reinhardt (sax) und Johannes Bauer (tb).

Die Zeit zwischen 1980 und 1989 war geprägt durch eine relativ stabile Besetzung, eine kontinuierliche Konzerttätigkeit und ein sich gut entwickelndes Verständnis für Schulzes Musik.

Schulze ist ein kritischer und provokanter Geist. Schon sehr früh erkannte er, dass der europäische Musiker sich auf seine eigenen Musiktraditionen konzentrieren sollte.
So sind die Ansätze bei ihm immer in der europäischen Musik zu suchen und das besonders in der Musik des Bläserquintetts.
Natürlich sind Einflüsse der amerikanischen Jazztradition nicht zu überhören. Aber sie sind nie plakativ.
Die Anregungen kommen indirekt und haben etwas mit dem Energieverständnis im Jazz und dem individuellen Ausdruck und Umgang mit dem Instrument als eine Art Befreiung von den Konventionen zu tun.
Die formalen Abläufe der Musik, das Material und die Bläsersätze sind europäisch gefärbt. Da tauchen Fugenformen auf.
Das Tonmaterial wird weitestgehend auf die Intervallbildung von „BACH“ in der Komposition B-A-C-H beschränkt.
Ganztonleitern spielen oft den klanglichen Untergrund. Das Call und Responce, wie es im evangelischen Gottesdienst auftritt, taucht im Choralkonzert und den verschiedenen Choralbearbeitungen auf.
Die Bläsersatztechniken sind auch ganz der europäischen Tradition verpflichtet mit einem ungeheuren Gespür für Klangfülle und Klangintensität.
Manchmal bilden auch Mythen den formalen Rahmen, wie bei der Komposition „Nummer 12“.

Ein hohes Verdienst hat Manfred Schulze auch, in dem er schon sehr früh auf das Schlagzeug verzichtete, noch ehe die Flut der Saxophonquartette Europa überschwemmte.
Allein die Umstände machten es für Schulze schwer, erfolgreich beim Publikum zu werden, da die Musik weitestgehend vor konventionell orientiertem Jazzpublikum zu Gehör kam.
Ihnen blieb das Déjàvu-Erlebnis aus, und ähnlich bedeckt verhielten sich die Kritiker. Ganz zu schweigen davon, diese Musik in den Hallen der „ernsten“ Musik aufzuführen.
Schulzes Musik steht zwischen den Stilen. Diese Zwischenstellung führt dazu, dass sie für das normal orientierte Jazzpublikum zu anspruchsvoll ist und für das E-Publikum eher suspekt wirkt, nicht entsprechend angenommen wird.

Schulzes Musik ist geprägt durch die Auseinandersetzung mit der europäischen Musiktradition und dem amerikanischen Jazz.
Diese kritische Sicht zu beiden Einflüssen war für eine Reihe Musiker schulbildend.
Sie half bei der Selbstfindung und gab gleichzeitig den Weg zur eigenen Emanzipation frei.
Dazu gehören solche Musiker wie Manfred Hering, Helmut „Joe“ Sachse, Christoph Winckel, Johannes Bauer, um nur einige zu nennen.

In einem Gespräch mit Bert Noglik erläutert Schulze: „mir geht es um Klangstrukturen und Klangflächen und nicht um die Harmonien auflösende Chorusse … Ich strebe an, dass tatsächlich Modelle und Tonreihen variiert werden. Meine Stücke sind deshalb anders angelegt.
Ein bestimmtes musikalisches Material, das in sich strukturiert ist, dient den Musikern als Grundlage für Improvisation. Die Veränderung ist den Musikern freigestellt, aber sie müssen die notierten Töne einbeziehen.
In der Regel werden in einem Stück mehrere Möglichkeiten angeboten. Der improvisierende Musiker hat also die Freiheit, nicht nur ein Modell zu verändern, sondern er kann selbst zwischen verschiedenen Modellen wählen.
Natürlich stehen diese Dinge in einem Verhältnis, das dem Charakter des von mir konzipierten Stückes entspricht …
Ich habe mich immer gewundert, dass unsere Musik dem Free Jazz zugeordnet wurde.
Wir spielen nie „frei im Sinne von voraussetzungslos oder ungebunden, sondern das Umsetzen solcher Improvisationsmodelle erfordert ein hohes Maß an Disziplin von den beteiligten Musikern.
Es ist nicht leicht, dafür geeignete Mitspieler zu finden“
.
In der Tat war es nicht leicht und es war ein waghalsiges Unternehmen, dem Charakter in Interpretation und Improvisation zu entsprechen.
Schulz ging es nicht um die persönliche Befreiung schlechthin, sondern um eine geschlossene Ensembleleistung, die möglichst seien Klagvorstellungen entsprach.

Diese Kompositionen oder Modelle sind sehr persönlich beeinflusst und entstanden aus der persönlichen Betroffenheit des Komponisten.
Dessen Geist und Verständnis durchzieht die Musik mehr als Schulze vielleicht bewusst war.
Teil seines Konzepts war die von ihm geforderte Individualität der Mitspieler in Spielweise und Klang.
Gerade in der Anfangszeit, aber durchaus auch später, hatten die meisten Musiker nicht die nötige Distanz zu Schulzes Ideen oder es fehlte ganz einfach das Verständnis dafür.
Die Musiker waren zu sehr mit sich und ihrer Individualität beschäftigt, als dass sie sich auf ein solch strenges Konzept einlassen konnten.
Es ging ihnen um Selbstbefreiung, Individualität und Materialforschung. Insofern kam es immer wider zu Missverständnissen.

Ab Mitte der 80er Jahre wurde Schulze immer legerer, was die Spielweise seiner Kompositionen betraf.
Das ging auf Kosten der Komposition und sorgte für Irritationen bei Musikern und Komponisten.
Manfred Schulze ist ein Außenseiter. Die geringe öffentliche Beachtung mag an seiner kompromisslosen musikalischen Haltung liegen, aber auch an seiner Charakterstruktur, die es ihm nicht leicht machte, den öffentlichen Spielregeln zu folgen.

Anfang der 90er Jahre verschlechtert sich der Gesundheitszustand von Manfred Schulze so sehr, dass er nicht mehr spielen kann.
Das Schaffen von Manfred Schulze wurde in der Öffentlichkeit kaum gewürdigt, obwohl es unter Kollegen unumstritten ist.
Seine Modelle setzten Maßstäbe. Er erfand intelligente Lösungen, um komponiertes mit Improvisationen zu verbinden.
Es gibt eindeutige und klare Strukturen, die durch Sparsamkeit gekennzeichnet sind. Sie geben den Rahmen für solistische und kollektive Ausflüge und bilden auch den Rahmen der einzelnen Stücke.
Die notierten Teile sind nie kompliziert. Es wird nicht überladen, so dass alles gut durch hörbar bleibt.
Die Bläsersätze haben Kraft, Expressivität und Klangfülle, und nicht zu unterschätzen sind seine schönen Melodien, die mit wenigen Tönen auskommen.

Mit dem Weiterbestehen des Bläserquintetts wollen wir der Musik eines Mannes huldigen, die nicht in Vergessen geraten sollte.
Uns und dem Publikum wollen wir die Freude erhalten, sie zu spielen und zu hören.

Blasnost Journal, August 1993, Heiner Reinhardt